DADAWALK 21 | VON PARIS NACH ROLANDSECK

100 Jahre WALKING ART

»Spazierengehen als Kunstform, das war zu DADA- Zeiten aktuell und ist es noch heute.... Die Relevanz und Aktualität des künstlerischen Unterfangens waren in ihrer Dimension kaum zu ahnen. Der DADA-Walk illustriert eindrucksvoll, welch kostbares Gut die durch Corona arg belastete grenzüberschreitende kulturelle Gemeinschaft ist. Die dramatischen Flutereignisse in den durchquerten oder eben nicht zugänglichen Regionen führen unmittelbar die Fragilität unserer Welt vor Augen.«

Direktor Dr. Oliver Kornhoff

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    Ankunft Brigitte Kovacs und Fabian Knöbl in Rolandseck
    © Helmut Reinelt
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    Anbringung DADA-Plakette in Rolandseck
    © Helmut Reinelt
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    Anbringung DADA-Plakette in Rolandseck
    © Helmut Reinlelt
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    Anbringung der Gedenktafel links neben dem Eingang des Museums
    © Helmut Reinelt
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    Anbringung der Gedenktafel links neben dem Eingang des Museums
    © Helmut Reinelt
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    Künstlerin Brigitte Kovacs
    © Helmut Reinelt
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    Künstler Fabian Knöbl
    © Helmut Reinelt
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    Herzlich Willkommen in Rolandseck!
    © Helmut Reinelt
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    Die Gedenktafel links neben dem Eingang des Museums
    © Helmut Reinelt

DADAWALK 2021

Paris – Rolandseck

Künstlerische Aktion endet nach 400 Kilometern Fußmarsch bei uns am Rhein

Drei Wochen sind Brigitte Kovacs und Fabian Knöbl zu Fuß unterwegs. Sie laufen auf den Spuren der französischen DADA-Bewegung von Paris nach Rolandseck. Um an die Aktion zu erinnern, installierten die Stipendiat*innen des Künstlerhauses Schloss Balmoral zum Abschluss ihrer Reise eine Steinplatte am Arp Museum Bahnhof Rolandseck.

100 Jahre Manifest »Excursions & Visites«

Stadtraumerkundung im Paris der 1920er- Jahre

1921 riefen Hans Arp, André Breton, Tristan Tzara und weitere Kreative mit ihrem Manifest »Excursions & Visites« zu einer Reihe von Stadtraumerkundungen zu banalen Orten in Paris auf. Entgegen dem ursprünglichen Plan fand nur eine Exkursion durch die Gärten der Kirche Saint-Julien-le-Pauvre statt.

Kovacs und Knöbl nehmen das 100-jährige Jubiläum des Manifests zum Anlass, das Gehen als künstlerische Praxis wiederzubeleben. Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen um den fortschreitenden Klimawandel erscheint das Gehen als künstlerische Ausdrucksform aktueller und politischer denn je. So ist diese Performance gleichfalls ein Versuch, Kunst und Leben in Einklang zu bringen. Durch das Umherschweifen sollen neue Verbindungen zwischen Räumen, Menschen und zwischen unterschiedlichen Zeiten hergestellt werden. Das Wandern birgt durch seine Langsamkeit das Potential, die Gedanken schweifen zu lassen und Zeit bewusst wahrzunehmen.

DADAWALK 21 | STEINLEGUNG IN PARIS

Der Weg

Von Paris nach Rolandseck

Vom historischen Originalstandort ausgehend luden Knöbl und Kovacs zu Spaziergängen durch die Gärten von Saint-Julien-le-Pauvre ein, bevor sie sich auf ihren ‚Kunst-Pfad‘ nach Rolandseck begaben. Die zurückgelegte Strecke selbst wird dabei zum Kunstwerk.

»Spazierengehen als Kunstform, das war zu DADA- Zeiten aktuell und ist es noch heute«, betont Dr. Oliver Kornhoff, Direktor des Arp Museums Bahnhof Rolandseck, »Dass wir an der musealen Heimstatt der DADA-Pioniere Hans Arp und Taeuber-Arp ab sofort mit der Plakette eine weitere künstlerische Verbindung nach Paris haben, ist ein schöner Gedanke. Brigitte Kovacs und Fabian Knöbl beglückwünsche ich zum Meistern dieser Strecke und freue mich, dass wir durch die fotografische Dokumentation an dieser Kunst-Reise teilhaben können. Die Relevanz und Aktualität des künstlerischen Unterfangens waren in ihrer Dimension kaum zu ahnen. Der DADA-Walk illustriert eindrucksvoll, welch kostbares Gut die durch Corona arg belastete grenzüberschreitende kulturelle Gemeinschaft ist. Die dramatischen Flutereignisse in den durchquerten oder eben nicht zugänglichen Regionen führen unmittelbar die Fragilität unserer Welt vor Augen.«

Der Weg führte die Künstler*innen durch die Champagne, Lothringen und Luxemburg über die Eifel bis an die rheinische Riviera. Wegmarken setzten sie dabei durch blaue Schilder und Sticker. Diese zeigen zwei Pfeile, die jeweils mit einem ‚DA‘ markiert sind und somit einerseits die Richtung weisen, andererseits aber auch den künstlerischen Bezug zu DADA anzeigen. Durch das Anbringen der Wegweiser und der Gedenktafeln wird der durchwanderte Raum vermessen und mit einem eigens entwickelten Zeichensystem markiert: eine Kartografie des Gehens als Kunst.

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Auf dem Instagramkanal dadawalk_21 dokumentieren Knöbl und Kovacs ihre Wanderung und halten mit künstlerischen Momentaufnahmen Highlights und Eindrücke ihrer Route fest. Ein künstlerisches Tagebuch mit Texten, Fotografien, Karten, Fundstücken, Pflanzen, Eindrücken und Frottagen der Reise soll ebenfalls entstehen und als Materialporträt der passierten Landschaft sowie als Reiseführer fungieren.

Das Stipendium

Das Künstlerhaus Schloss Balmoral vergibt zur Förderung der zeitgenössischen Bildenden Kunst Stipendien an Künstler*innen aus aller Welt. Die historische Villa in Bad Ems ist ein Ort der Begegnung und künstlerischen Produktion, in dem die Stipendiat*innen zu Gast sind. Aufgrund der Corona-Pandemie sind dieses Jahr nicht alle Künstler*innen in Bad Ems anwesend, sondern beschreiten, wie Kovacs und Knöbl, während ihres Stipendiums buchstäblich andere Wege.

DADAWALK 1921

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    Tristan Tzara, Flugblatt anlässlich der Aktion ‚Excursions & visites DADA – 1ère visite: Église Saint Julien le Pauvre‘, 1921 Privatsammlung
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    Anzeige, aus: Littérature, N° 17, Dez. 1920 http://sdrc.lib.uiowa.edu/dada/litterature/19/images/01.pdf
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    Foto : Jardin Saint-Julien-le-Pauvre, 14. April 1921 v. r. n. l. René Hilsum, André Breton (vortragend), Tristan Tzara, Philippe Soupault und weitere www.andrebreton.fr

Historisches zum DADA-Walk

»Der Dadaismus hat«, so Hans Arp, »die schönen Künste überfallen«.

Mehr noch, er inspiriert Künstler*innen bis in die Gegenwart. Dies belegt eindrucksvoll die jüngste Aktion des Künstler*innenduos Brigitte Kovacs und Fabian Knöbl, die dem ersten »DADA-Walk« (1921) heute ein würdevolles Denkmal setzen.

Nahezu prophetisch verkündet Arp: »Dada ist der Urgrund aller Kunst«.

Tatsächlich haben wesentliche künstlerische Ausdrucksformen – etwa Lautgedicht oder Performance – ihren Ursprung im Dadaismus.
Ab Februar 1916 schockieren die Dadaist*innen mit provokanten Aktionen nicht nur die Zürcher Bourgeoisie. Ihre Sprengkraft reicht bald bis nach Berlin und Paris. Dort prägen ab 1919 Tristan Tzara und André Breton die literarische Seite der Bewegung.
1921 wird es merklich still um Dada. Dem entgegenzuwirken, rufen die Pariser Dadaist*innen die Grande Saison Dada aus. Geplant sind unterschiedlichste Veranstaltungen, wie eine Anzeige in der Avantgardezeitschrift Littérature verrät. Den Auftakt bildet am 14. April eine, selbst für Dada ungewöhnliche Aktion. Anstelle früherer, lautstarker Angriffe auf das Establishment überrascht ein gänzlich neues, eher ruhiges Format, bei dem das Publikum als aktiver Part einbezogen wird.
Der Besuch von alltäglichen, als banal empfundenen Orten in Paris steht auf dem Plan. Ein Flyer gibt die erste Station von ursprünglich mehreren geplanten Exkursionen bekannt: Um 15 Uhr solle man sich im Garten der Kirche Saint-Julien-le-Pauvre einfinden. Auf dadaistische Absurditäten will man nicht verzichten und so begleiten codierte Sinnsprüche die Einladung. »Man muss seine Nase schneiden, wie seine Haare« lautet eine der grotesken Aufforderungen.
Schließlich erfährt man, wer die Initiator*innen sind. Arp ist Teil der illustren (unterzeichnenden) Gesellschaft. Letztlich wird er nicht teilnehmen können, da er als deutscher Staatsbürger nach dem Krieg noch nicht wieder nach Frankreich einreisen darf.

Diverse Fotografien dokumentieren die Aktion und ein Publikum, das, ob des strömenden Regens unter riesigen Schirmen ausharrend, André Breton zu lauschen scheint. Zeitungsartikel bezeugen zudem das rege Interesse der Presse an der neuen dadaistischen Ausrichtung.

Es ist die Geburtsstunde einer neuen Form der Kunst, bei der das Gehen als solches in den Dienst der Kunst gestellt wird und respektive zum Teil der Kunstaktion erklärt wird.

Eine Steigerung dieser ursprünglichen Idee folgt 1924, als Breton, Louis Aragon, Max Morise und Roger Vitrac das Gehen hin zu einem bestimmten Ort gegen ein, wenn man so will, automatisches Umherwandern eintauschen. Hierbei steht das Ausloten zwischen einem bewusst erlebten Wachzustand und einem unbewussten (Traum) Erleben im Fokus. Unter diesem Eindruck verfasst Breton noch im selben Jahr Poisson soluble, eine Textsammlung deren Vorwort das erste Manifest des Surrealismus werden sollte.

Die Wanderung markiert somit zugleich eine Art Scheideweg zwischen Dada und Surrealismus.

Text: Astrid von Asten

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